Was braucht Mensch für Change?
von Elisabeth Göhring
Aristoteles war der Meinung, dass die mitfühlende Teilnahme der Zuschauer am Schicksal eines Tragödien-Protagonisten eine tiefe, reinigende Wirkung auf den Menschen habe. In der Anteilnahme, im emotionalen Nachempfinden lag seiner Meinung nach eine große Kraft.
Auf der Tragödie-Bühne wirkt Schicksal oder göttlicher Wille auf den Helden. Der Protagonist kann nicht mehr so weiter machen wie bisher. Er muss sich beziehungsweise seine Handlungs- oder Sichtweise ändern, denn das Schicksal zwingt ihn unerbittlich wie der Tod, und seine Zuschauer lernen an seinem Beispiel.
Die aristotelische Katharsis verursacht demnach durch Mitleid mit dem Schicksal eines Theater-Helden eine Änderung der Perspektive und Handlungsweise des Publikums.
Auch jeder Change-Prozess erfordert Veränderungen von Perspektiven und Verhaltensweisen. Durch Einsicht erzeugende Kommunikation und geschickt veränderte Prozesse kann man viel bewegen. Dagegen wirkt allerdings die Macht der Bequemlichkeit und Gewohnheit bei denen, die Change nicht veranlassen, sondern den Wandel leben müssen.
Es wird immer Menschen geben, die sich mit den alten Werten oder Systemen ganz wohl gefühlt haben und sogar trotz eindringlicher und geschickter Change-Kommunikation überzeugt sind, dass das Alte nicht schlecht war und die Änderungen gar nicht so sinnvoll, zumindest nicht von persönlichem Vorteil sind.
Um diese Change-Bremser, die Verlierer der Veränderung, auch mitzunehmen, muss bei diesen eine Katharsis erzeugt werden. Sie müssen ihre Perspektive und Handlungsweise tatsächlich und nachhaltig ändern.
In vielen Unternehmen lebt man die griechische Tragödie: man bestimmt einen Helden, der für die alten Werte und Überzeugungen steht und den Change-Zielen hartnäckig Widerstand leistet. Und dann gesteht man ihm entweder die öffentliche Läuterung zu, oder er muss dramatisch von der Bühne abtreten. Das Change-faule Publikum leidet erschauernd mit und wird folglich eine erhöhte Bereitschaft zur Kooperation zeigen.
Das wäre Change nach aristotelischem Katharsis-Konzept: die Mitarbeiter sind das zu belehrende Publikum, das sich den Sachzwängen anzupassen hat.
Dem entgegen steht das goetheanische. Bei Goethe im klassischen Drama wird eine tiefgreifende Veränderung durch die Harmonisierung von Gefühl und Pflicht bewirkt. Das bedeutet, dass der Mensch, also der einzelne Mitarbeiter, eine eigene Position zur (schicksalhaften) Veränderung finden muss. Jeder auf seine Weise.
Das bedeutet auch, dass den Menschen zugestanden wird, dass sie individuelle Positionen und Geschwindigkeiten haben, ihre Sichtweise anzupassen.
Auf der Change-Bühne werden nun vielfältige Diskussionen geführt, die Sozialen Medien laufen heiß, Coachs werden losgeschickt, und der eine oder andere Prozess, so gut er auch zu den neuen Zielen passte, wird nochmals justiert. – Die goetheanischen Helden können zurück rudern ohne Schwäche zu zeigen und den Kurs
zu verlieren. Dem eisernen Band der Sachzwänge wird der freie Wille des Menschen entgegengesetzt. Das Ziel einer goetheanischen Katharsis ist es, beide Kräfte ins harmonische Gleichgewicht zu bekommen.
Voraussetzung für so eine Katharsis ist, dass Menschen nicht wie Spielfiguren eingesetzt wurden. Und dass das Management nie der Versuchung erlag, sie ganz und gar zu branden und für die eigenen Ziele zu begeistern.
Statt dessen betrachte man Mitarbeiter als mündige Wesen.
In der Psychologie wird der Katharsis-Begriff als Reinigung von Gefühlen verwendet. Dabei wird kontrovers diskutiert, ob ein stellvertretend ausgelebtes Gefühl tatsächlich von eben diesem befreit.
Kann man beispielsweise Aggressionen durch Schlagen auf einen Sandsack los werden?
Leider gibt es darauf keine definitiv abgesegnete Antwort. Schön wär´s, denn dann könnte jeder Change-Manger einfach Gefühls-Mülleimer aufstellen, in die jeder Mitarbeiter seine Ängste und seinen Ärger abladen kann.
Was bedeutet Katharsis für Manager, die eine geänderte Handlungsweise von Menschen in ihrem Unternehmens brauchen?
Sie können Menschen nicht ändern, wohl aber Verhaltensänderungen erzwingen.
Wenn man Mitarbeitern das wegnimmt, mit dem sie sich bisher identifiziert haben oder durch das sie ihr Selbstwertgefühl erzeugten, wird das wie ein Schicksalsschlag empfunden. Widerstand und negative Gefühle entstehen. Mit diesen Menschen können sie nicht mehr rechnen.
Gefühle wie Angst oder Ärger können nicht einfach entsorgt werden. – Ein auf die Menschen angepasstes harmonisches Konzept braucht Zeit und Raum für die Einzelnen.