Über eine Reise in ein bulgarisches “Zigeunerdorf” und festsitzende Vorurteile
von Elisabeth Göhring
Vorurteile schützen. Am besten man greift auf Erfahrungswerte anderer vertrauenswürdiger Personen zurück und lässt sich außerhalb davon auf nichts ein. So funktioniert das Web. So funktioniert das Leben. Das ist Kultur.
Der Baedecker ist vertrauenswürdig. Unter der Überschrift „Sicherheit“ finde ich das Wort “Autodiebstähle” fett gedruckt. Illustriert wird das Thema mit dem Foto eines Polizeiautos mit folgendem Text: „Wie kommt die bulgarische Polizei zu einem Audi TT? Das Fahrzeug wurde möglicherweise in Bulgarien von Autodieben gestohlen. Die Polizei beschlagnahmte und behielt es.“
Wir fahren trotzdem mit dem Auto nach Bulgarien, weil wir neugierig sind auf das neue EU-Land, eines der ärmsten der EU.
Eine Freundin überließ uns freundlicherweise ihr Ferienhaus im Landesinnern. Sie warnte uns aber, dass es in dem Dorf ziemlich viele Roma gäbe.
Was das wohl heißen mag? Wir verdrängen unsere Vorurteile und wollen uns auf neue Erfahrungen einlassen.
Wir schätzen den Anteil der Roma in “unserem” Dorf auf für Bulgarien außergewöhnliche 70%. Der landesweite Durchschnitt beträgt laut Statistik 5%. Sie sind erkennbar an der dunklen Hautfarbe. Die anderen Bulgaren sind meist hell. Wir wissen das aber nicht. Wir vermuten nur, dass es so ist. Es erscheint uns logisch.
Einige der Roma leben in Häusern wie die ärmere Bulgaren, mit Garten und Ziege. Die anderen leben irgendwie anders, mit Pferd und Wagen.
Unser Auto ist Ausflugsziel für einige verwegen aussehende Jugendliche.
Ein Mann mockiert sich über das Lenkradschloss. Ich denke: „Das muss gerade einer sagen, dessen Haus komplett vergittert ist“ – Die meisten traditionellen Häuser hier sind nämlich geradezu verrammelt.
In den bescheidenen Verhältnissen des Dorfes fällt unser roter VW-Bus ganz schön auf. Wir wollen ihn deshalb gerne in unserem Hof hinter den mit Stacheldraht gesicherten Zaun parken, aber er passt nicht durch das Tor.
Wir schlafen schlecht, bis wir die Idee haben, so eine Art zusätzliche Alarmanlage einzubauen: Einem Dieb würde es nicht gelingen, ohne einen Mordsradau loszukommen: denn die Ketten, mit denen wir das Auto an unseren Hofzaun binden, sind mit einer Konstruktion von Kehrblech und Mülleimer verbunden, die aber von außen nicht sichtbar ist. Werden die Ketten auch nur bewegt, kippt das Kehrblech auf den leeren Eimer.
Das reicht, um uns im Falle eines Falles wach zu bekommen und beschert uns deshalb einen guten Nachtschlaf.
Die Straßen außerhalb des Ortes sind übrigens tip-top in Ordnung. Kein Auto weit und breit. Und wenn, dann ein nagelneuer deutscher Wagen der Luxusklasse mit bulgarischem Kennzeichen. Ausländer gibt es hier nicht.
Mittelklassewagen sind Rarietäten.
Die mutmaßlichen Roma im Dorf unterscheiden sich zunehmend untereinander. Je länger wir bleiben, desto besser lernen wir eines: Roma ist nicht gleich Roma. Man bittet uns um Geld. Aber wenn wir nichts geben, bleibt man weiterhin freundlich. Und wenn wir was geben, kommt man wieder. Meist mit einem Freund oder einer Freundin.
Man kann gemütlich beisammen sitzen und Tee trinken. Dabei wird aneinander vorbeigeredet, denn wir sind des Bulgarischen nicht mächtig.
Wir werden mit Gemüse und Käse beschenkt.
Als wir das Dorf wieder mit unserem Auto verlassen, winken uns viele hinterher.
Auf der Höhe von Sofia begegnen wir dann dem ersten Auto mit ausländischem Kennzeichen.
Natürlich eine deutsche Luxuskarosse. Und dann gleich dahinter noch eine und dann noch eine. Alles Wiesbadener. Was machen die denn hier?
Und dann braust uns ein Pulk bayrischer SUVs mit getönten Scheiben entgegen. Münchner. Und gleich darauf kommen diverse Frankfurter. Der Strom schicker deutscher Autos reißt bis zur Grenze nicht ab.
In Bulgarien ist das Durchschnittseinkommen sehr niedrig. Dafür sind die Energiepreise auf deutschem Niveau.
Es ist also kein Wunder, dass im Landesinneren so wenige Autos unterwegs waren. Über die Kolonnen der Luxusautos kann man sich aber durchaus wundern.
Wir haben viel erfahren in den drei Wochen und einiges gelernt. Und obwohl wir nicht ein einziges Mal auch nur um einen Stotinki beschummelt worden waren und nur freundlichen Menschen begegneten, stellen wir erstaunt fest, dass unser Misstrauen gegenüber den Roma-Bulgaren bezüglich des Autos nicht ausgeräumt ist.
Kultur sitzt tief.