Hochenergiepysiker
von Elisabeth Göhring
Sprache ist kulturprägend. Kulturen grenzen sich durch Sprache von einander ab. Sprachen bestimmen die Kommunikationskultur.
Die Sprache der Wissenschaft ist Englisch. Ein Englisch, das mit den unterschiedlichsten Färbungen gesprochen werden kann und dessen am schwersten zu verstehender Dialekt das British English ist.
Hochenergiephysiker am CERN kommunizieren darüber hinaus untereinander in spezifischen Codes. Verstehen Sie, was im Folgendem gemeint ist?
„I have created two Maxi DSTs for conversion studies. The data were filtered from W slowstream output asking for standard electron cuts (eRIC + track-preshower match). There are a total 655 events on cassettes VW 0536 VW0537.“ *
In internationalen Unternehmungen wie dem CERN sorgt ein gut ausgestatteter internationaler Verwaltungsapparat dafür, dass Physiker hochkomplexe und teure Experimente durchführen können.
Alle Experimente müssen beantragt und dem Rat zur Entscheidung vorgelegt werden.
Welches Experiment zur Ausführung kommt, wird ausgehandelt. Der Prozess zwischen erstem Entwurf für ein Experiment und seiner Realisierung kann 10 Jahre oder mehr beanspruchen. Somit führt der Weg zum Ziel, dem Eigentlichen, der „Physik“, nämlich die Datennahme während des Experiments und die anschließende Analyse, durch viele bürokratische und technische Schleifen.
Die Kultur der Hochenergiephysiker ist nicht biologisch reproduzierbar und deshalb durch kulturelle Zugangsbarrieren gesichert, die durch wissenschaftliche Spezialisierung, machtpolitische Erwägungen aber auch bestimmte mehr oder weniger bewusste Kommunikationskultur geprägt sind. Die individuellen ethischen Prägungen treten in den Hintergrund. Ein Verzicht auf Möglichkeiten und Vielfalt ist Grundvoraussetzung einer kulturellen Grenze, die ein elitäres Selbstverständnis hervorbringt, das Detlev Nothnagel nach vierjähriger Feldforschung als „The Physics Way“ bezeichnete. (Mehr dazu: Kultivierte Unschärfe[n])
Im Mittelpunkt des Physics Way steht die Naturbetrachtung, die Zahlen, die für sich selbst sprechen. Ausgeblendet wird – so gut wie möglich – die Black-Box des Entstehens der Zahlen, der enorme technische und politisch-verwalterische Aufwand.
Es wird kollektiv veröffentlicht (wobei die Maschinen-Physiker und Ingenieure nicht zum Kollektiv gehören) und ein sachlicher, selbstreferenzierender Stil gepflegt, der das Selbstverständnis kodiert: Im Mittelpunkt steht und der Höhepunkt ist die reine Physik selbst, nicht die Personen, die sie machen, und schon gar nicht die, die sie nur technisch möglich machen.
Trotzdem bringt diese Kultur ihre Gurus, die „big men“ und bald wohl auch die „big wo.men“ hervor wie auch ihre eigenen Mythen, die sich um die zentralen Artefakte wie „die Maschinen“ ranken.
Politiker lassen sich immer wieder gerne in Institutionen wie dem CERN sehen und fotografieren, weil ein Stück der in der Hochenergiephysik kultivierten mythischen Reinheit der Naturbetrachtung unter Ausblendung all der technischen und bürokratischen Hindernisse mit einer Priese elitärer Intelligenz gerne auf das eigene Image abfärben darf.
Der Blick auf die Kultur der Hochenergie-Physik vor allem durch D. Nothnagels Buch „The Physiks Way“ oder auch durch Sharon Traweeks „Beamtimes and Lifetimes“ vermittelt das Bild einer Gesinnungs-Gemeinschaft mit extrem hohen intellektuellen und damit elitären Zugangsbarrieren, die alles zu Gunsten der „Entdeckung der Wahrheit“ aus der Natur in den Hintergrund treten lässt. Erstrebt wird das Schöne, das Wahre, das Geile: das SO IST ES, und jetzt können wir es sehen und beweisen! Die Moden des Wie werden sich ändern. Aber schafft man Orte, an denen sich solche Menschen um so etwas versammeln können, ist der Erfolg vorprogrammiert.
*aus Detlev Nothnagel „The Physics Way“, Campus 2001, S. 67