von Elisabeth Göhring mit Illustrationen von Olaf Böckmann
„Die tausend Herbste des Jacob de Zoet“ von David Mitchell ist nicht nur ein wunderschön und spannend geschriebener Historienschmöker, sondern auch aus unternehmungskultureller Sicht hoch interessant.
Der englische Erfolgsautor des „Wolkenatlas“ beschreibt, was die Menschen einer Gesellschaft oder einer Unternehmung zusammen hält: der gemeinsame Feind, die gemeinsame Herausforderung, der gemeinsame Erfolg. Aber auch Geld, Hoffnung und Mangel an Alternativen. Und dann gibt es noch Liebe, Freundschaft, Neugierde, Abenteuerlust, Glaube und Regeln. – Alles in allem ein wilder Cocktail unterschiedlichster Motive.
Aber auf mehr als 500 Seiten ist ja auch Platz genug, auf die einzelnen ausgiebig einzugehen.
Die Geschichte des Holländers Jacob de Zoet spielt um 1800 in Japan. Währen die Europäer zu dieser Zeit die restliche Welt plündern, schottet sich Japan hermetisch gegen Fremde ab. Niemand darf raus. Niemand darf rein. Bei Todesstrafe.
Der Held der Geschichte muss in einem streng abgeschlossenen Vorposten vor Nagasaki einer holländischen Handelsfirma dienen.
Hier treffen aus aller Herren Länder Menschen zusammen und bilden eine neue Kultur, die geprägt ist durch das Recht des Gewiefteren und die Firmenhierarchie. Es geht darum, möglichst große Profite zu machen.
Die Japanische Gesellschaft dagegen ist geprägt durch die stolzen Clan-Hierarchien, denen man sich strikt zu unterwerfen hat. Die Familien werden ohne Liebe wie Betriebe geführt. Es geht um ein Stück Unsterblichkeit durch den Namen und das Weiterleben in den Nachkommen. Die klar definierte Hackordnung und drastische Strafen halten die Ordnung aufrecht.
Eine Liebesgeschichte entspinnt sich zwischen einer japanischen Hebamme und dem Titelhelden Jacob.
Die Hebamme wird aber bald wegen ihrer Fähigkeiten gezwungen, in einem Kloster zu dienen. Dort soll sie dafür sorgen, dass die Sterblichkeitsrate der Nonnen, die dort im Namen einer Fruchtbarkeitsgöttin alle zwei Jahre ein Kind bekommen, sinkt.
Die Kinder werden den Nonnen gleich nach der Geburt weggenommen und angeblich in Pflegschaft gegeben. Im Wirklichkeit aber werden die Kinder zu lebensverlängernder Medizin verarbeitet, mit denen sich der Betreiber des Klosters Vorteile und Reichtum verschafft.
Das Bild des Klosterberges ist das auf die Spitze getriebene Bild des nicht nur japanischen Brauchs, Frauen zur Erzeugung von Nachkommenschaft zu „verwenden“.
Man kann es auch als Symbol für die Produktion von „Human Resources“ sehen.
Die Hebamme entdeckt den Betrug – allerdings nicht in seinem vollen Umfang – und lässt sich auf Kompromisse ein. Berufsethos gegen „allgemeine“ ethische Bedenken? – Ein interessanter und aktueller Fall.
Der junge Jacob de Zoet ist ein kluger und rechtschaffener Kopf. Er meinte im Namen der holländischen Handelskompanie für eine gute Sache, sein Land und gegen Korruption zu arbeiten, wird aber tatsächlich von seinen skrupellosen Chefs missbraucht. Nach und nach muss er feststellen, dass im Namen der Handelskompanie übelste Geschäfte getätigt werden.
In dem Moment, als er sich weigert mitzumachen, wir er degradiert.
Obwohl er desillusioniert ist, hat er keine Möglichkeit, seinem Angestellten-Dasein zu entkommen.
Besonders interessant wird die Geschichte, als ein englisches Kriegsschiff den holländischen Handelsposten in Japan angreift.
„Was hat die Fahne jemals für dich getan?“ fragt der aufgeklärte Arzt seinen Freund Jacob, als sie unter englischem Beschuss neben ihrer Flagge Posten halten. „Vielleicht haben wir sonst keinen Platzt, an den wir gehören?“„Oder wir sind einfach sture Fußsoldaten“ – und sie beharren auf dem was ist.
In diesem kurzweiligen, spannenden Buch ist so viel drin, was einen über Unternehmungs- und Unternehmenskultur nachdenken lassen kann.
Empfehlenswert!