Corporate-Culture Change an Waldorfschulen

Über Waldorfschulen hört man oft, die Schüler könnten nicht viel.
Aber ihren Namen tanzen, das können sie.

In den Aulen der Waldorfschulen gibt es meist keine elektronischen Verstärker, die Schüler und Lehrer lernen früh, deutlich und klar zu sprechen.
Das können sie also auch.

Achtung: Ufo setzt zur Landung an!

Auf dem Schulhof sieht man kaum Handys.
Aber trotzdem hat man nicht das Gefühl, in alte Zeiten versetzt zu sein. Die Zeiten, in denen alle Waldorfschüler mit selbstgestrickten Pullover (ja, selbst stricken können sie auch) eindeutig zu identifizieren waren, sind vorbei.

Alle Waldorfschulen ähneln sich irgendwie. Die Wände sind in zarten Farben lasiert. Die Putzmittel riechen nach Natur, der rechte Winkel ordnet sich einem milderen unter.

„Schuld“ daran sind die Gestaltungsideen des Rudolf Steiner (1861–1925), dem konzeptionellen Vater aller Waldorfschulen und der Anthroposophie.
Jede dieser Vorschriften ist kein Gesetz für die selbstverwalteten Schulen. Eher eine „Idee“, hinter der eine Argumentation steckt, die ihre Wurzeln in einem bestimmten Bild vom Menschen und seiner Entwicklung hat.

Auch in dem beschaulichen Hamburger Vorort Bergstedt gibt es eine Waldorfschule. Und dort, wie auch in den über 200 anderen deutschen Waldorfschulen, stellt man sich die Frage, was wohl Steiner zu dem Umgang mit den neuen Medien gesagt hätte. Was hätte er geraten? Wie hätte er argumentiert?

„Steiner war einer, der die neuen Möglichkeiten genutzt hätte“, vermutet ein Kunstlehrer mir gegenüber und belegt das mit Steiners künstlerischer Freude an solchen – damals modernen – Techniken wie der Stahlbetonbauweise. Dieser Lehrer unterrichtet deshalb in seiner Waldorfschule Film und Webdesign.

In Bergstedt gab es wegen solcher Kursangebote auch Kritik. Deshalb veranstalteten zwei betroffene Lehrer mit Hilfe einer Handvoll engagierter Eltern eine „Mediewoche“, in der das Spannungsfeld zwischen Lehrern, Schülern und Elternhäusern in Bezug auf die Nutzung moderner Medien fundiert beackert werden sollte. Die Resonanz blieb verhalten. Einige Lehrer fühlten sich nicht angesprochen, die Mehrheit der Eltern erschient nicht zum Diskussionsabend.

Traditionell geht man nämlich in anthroposophischen Waldorf-Haushalten eher vorsichtig mit den nicht analogen Medien um.

Weglaufen hilft nichts...

In den letzten Jahren hielten die Handys aber auch in den Waldorfschulen Einzug, da die Eltern sich für ihre Sprösslinge mehr Sicherheit verschaffen wollten. Und prompt wurde man die Geister, die gerufen waren, nicht mehr los. Bald konnten die Handys fotografieren und boten elektronische Spiele. Die behüteten Waldorfkinder waren schließlich doch nicht von gestern und nutzen alles, was Spaß macht und bequem ist. Auch Facebook und Youtube. – Einige auch andauernd.

In manchen Waldorf-Elternhäusern werden die Kinder so gut es geht von allen im anthroposophischen Sinne nicht altersgerechten Angeboten, wie zum Beispiel Zeichentrickfilm oder Computerspiel, ferngehalten. Andere Kinder, in denselben Klassen, wachsen allerdings mit allem Schnickschnack wie Starwars- und Fußballkarten heran. Es entsteht eine Mischkultur mit Spannungspotential.

„Damit eine Waldorfschule überhaupt den Namen „Waldorf“ tragen darf, muss das von den Eltern und Lehrern der Gründungsinitiative erarbeitete Konzept vom „Bund der Freien Waldorfschulen“ akzeptiert werden“, erklärt eine ehemalige Gründungslehrerin. „Dabei geht es aber nicht um bestimmte pädagogische Techniken, sondern um eine Denkhaltung. Der Kern der Erziehungskunst kann so beschrieben werden: Aus dem Fühlen und Erfahren das Denken zu schulen, damit sich ein Mensch mit freiem Willen daraus entwickeln kann.“

Was nun, wenn die Kinder und Jugendlichen durch den Umgang mit den vielfältigen medialen Angeboten nach und nach dem „Fühlen“, so wie es bisher gesteuert wurde, entfremdet werden. Wissen wird ihnen allerortens hinterher geworfen, ohne dass das Denken bemüht werden muss, geschweige denn die Empfindungswelt.

Vielleicht gibt es ja doch Berührungspunkte mit evolutionärer Energie?

Ein Beispiel: dass die Erde eine Kugel ist, weiß mittlerweile jedes Kindergartenkind. Aber das ist aus der Waldorf-Perspektive leeres Wissen. Nicht mehr wert als ein nachgeplappertes Abrakadabra. Wenn man den Kindern statt dessen erzählte, dass die Erde ein Kubus wäre, machte es für sie keinen Unterschied.
In der Waldorfpädagogik bemüht man sich, allen Kindern über viele Jahre ein Gefühl für „Kreis“ und „Kugel“ zu vermitteln, bevor man dazu übergeht, Kreise und Kugeln zu berechnen oder gar die Erdkrümmung. Diese Langatmigkeit verstört so manches mit vielen Medien herangewachsenes Kind. Denn am Ende bleibt die Tatsache, die es ja schon immer zu wissen gemeint hat, nämlich dass die Erde eine Kugel ist.
Es wird deshalb immer schwerer, die volle Aufmerksamkeit einer ganzen Klasse zu halten.

Aber was jetzt? – Soll man sich anbiedern und einfach auch in die mediale Trickkiste greifen, oder muss man weiter machen wie bisher: Theater ja, Film nein?
Oder muss alles bisher praktizierte in Frage gestellt und ergänzt werden, damit auch im Umgang mit den Medien durch das Tun ein Wollen entstehen kann?

Wenn man bedenkt, dass Waldorfschüler sogar Mathematik praktisch am ganzen Körper erfahren, denn sie klatschen und laufen die Reihen des Einmaleins und vermessen Felder, um nachzuprüfen, dass die Erde tatsächlich rund ist, dann wundert es einen, was denn so schwierig sein soll, Medienkompetenz zu vermitteln.

Was also ist nun so verdammt schwer an dem kulturellen Wandel?

1. Es lässt sich noch ignorieren, dass der ungelernte Umgang mit Medien gefährlich ist. Es gibt also scheinbar keine zwingende Notwendigkeit, umzudenken
2. Es gibt keine positive Vision eines Schullebens mit den Medien. – Die (Vor-) Urteile über die Medien verhindern die Entwicklung einer neuen Vision
3. Angst vor vorübergehender Inkompetenz behindert eine sachliche Diskussion
4. Die Lehrer und Eltern sind bereits überlastet und befürchten zusätzliche Arbeit im Change-Prozess
5. Man liebt die Schule so wie sie ist. Jede Änderung bedeutet also einen Verschlechterung

Was ist notwendig:
1. Genaue Beobachtung: Werden die Schüler noch in dem Maße auf der Gefühlsebene angesprochen, wie notwendig, um ganzheitlich zu lernen? Wie verbreitet ist die Mediennutzung bei welchen Steakholdern ganz genau?
2. Eine positive Vision muss von einem Kreis Engagierter entwickelt und den unterschiedlichen Interessengruppen vermittelt werden
3. Fachliches Coaching der Eltern und Lehrer muss angeboten werden
4. Dem Prozess muss Zeit und Raum eingeräumt werden
5. Entwicklung eines Konzepts
6. Umsetzung des Konzepts unter der ständigen Begleitung eines externen Coachs
7. Durch umfassende Reflexionen muss der „trauernde Abschied vom Althergebrachten“ respektvoll begleitet werden

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Eine Antwort auf Corporate-Culture Change an Waldorfschulen

  1. Hannes sagt:

    Das Problem ist immer das gleiche. Wenn es etwas gibt, was aber an anderer Stelle (warum auch immer) ignoriert wird, entsteht so etwas wie eine Parallelwelt. Ein Schüler, der zu Hause emsig im Internet unterwegs ist, wird nie verstehen, wenn das Thema in der Schule totgeschwiegen oder verteufelt wird. Es ist eindeutig besser, wenn man als Schüler bestimmte Themen nicht in der Garderobe abgibt, sondern einfach mitnehmen kann.

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