Unternehmenskultur im internationalen Konzern

Gilbert Dietrich ist Philosoph und Coach und arbeitet als Personalleiter für 1500 Mitarbeiter.
Als ich ihn kennen lernte, war er gerade “auf dem Sprung” zu Google nach Irland. Vor Kurzem begegneten wir uns wieder über die Schnittmengen gemeinsamer Arbeit: Er ist mit seinem Blog-Magazin Geist und Gegenwart den Mechanismen des Lebensglücks auf der Spur. Ich fragte ihm Löcher über seine Erfahrungen mit Unternehmenskultur im internationalen Konzern in den Bauch…

Du hast Deine Karriere 2005 beim Boom-Konzern Google in Irland begonnen und dort internationale Product Support Teams gemanagt. Kannst Du sagen, dass du in eine starke Community aufgenommen wurdest?
Auf jeden Fall wirst du da in eine starke Community aufgenommen. Ich habe das deutsche Team und die sogenannten Emerging Markets – damals Polen, Russland, die Türkei und die arabischen Länder – gemanagt, das war also ein ganz multi-nationales Team. Natürlich entsteht in solchen internationalen Gruppen ein ganz starker Zusammenhalt, weil alle “von zu Hause” weg und im Ausland sind. Auch die Alterstruktur ist interessant, denn es waren zum Großteil junge Absolventen, für die das ein ganz extrem wichtiger und spannender Lebensabschnitt ist. Interessanterweise konnte man später auch sehen, dass Nationalitäten zusammenhielten, besonders als die Beschäftigtenzahl stark anstieg und Länderteams entstanden.

Hast Du Dich gerne aufnehmen lassen? Was waren aus Deiner Sicht die charakteristischsten Merkmale der Kultur.
Hm, ich habe es seit jeher schwer, mich in Communities zu integrieren. Das fing schon im Kinderferienlager an, wo ich lieber am Rand saß und mein Buch las und das ist bis jetzt so. Ich kann mich aber an einen Moment erinnern, als ich mich damals den knapp 200 Leute in der Firma vorstellen musste. Damals kannte jeder jeden. Einige hundert Neueinstellungen später kamen dann E-Mails aus der HR-Abteilung, die sich beschwerten, dass man sich auf der Treppe nicht mehr grüßte. Da war für mich klar, dass irgendwann die kritische Masse überschritten ist und man eine Kultur im Endeffekt auch nicht erzwingen kann. Trotzdem, die charakteristischen Kulturmerkmale, die überlebt haben, sind auch die, auf die es ankam. Z.B.: Erst mal machen, dann fragen, Fehlertoleranz. Oder breite Kommunikation: Ich habe da gelernt, lieber zu viel als zu wenig zu kommunizieren, gerade strategisch. Die in den Büros gelebte Internationalität in die Produkte zu bekommen, war übrigens nicht so einfach. Weil zuerst die Top-Manager ausschließlich Amerikaner in den USA waren, hatten sie nur wenig Sinn für Probleme, die mit Umlauten in Datenfeeds oder durch linksläufige Schrift entstehen können. Auch der kulturell anders gewachsene Umgang mit dem Urheberrecht oder der Privatsphäre in Europa fiel dem Product-Management anfangs schwer.

Waren diese kulturellen Merkmale eher unternehmensspezifisch, geprägt von der Landes(Standort)kultur oder handelte es sich um so eine Art Kulturinsel von jungen, ungebundenen, nach Erfahrung hungrigen und aussichtsreichen Berufsanfängern?
Tatsächlich war die Kultur im European Headquarer Dublin anders als z.B. in Mountain View. Interessanterweise hat das Dublin-Büro kulturell sehr viel in die USA-Büros exportiert. Fremdsprachen vor allem und ein Bewusstsein dafür, was es für eine Firma heißt, tatsächlich international zu sein. Ich kann mich an ein Meeting erinnern, als die amerikanische Managerin erzählte, dass sie in einen Montessori-Kindergarten gegangen sei. Alle dort nickten und die Hälfte sagte “ich auch”. Dann fragte sie uns und wir schüttelten nur die Köpfe und einige sagten, sie kannten nur sozialistische Kindergärten. Das sind Aha-Momente für alle. Sie begreifen plötzlich, dass da Welten aufeinander treffen und dass man sich jetzt darauf einlassen muss.

Hast Du selbst Unternehmenskultur vermittelt oder geprägt?
Als Team Leiter war ich ja unteres Management und daher immer mit der direkten Führung der Teams bschäftigt. Da musst du Vorbild sein, die Kultur ein gutes Stück weit verkörpern. Letztlich fließen die kulturellen Werte auch in Entscheidungen zu Beförderungen oder Lohnerhöhungen ein. Zudem bekommt jeder Mitarbeiter pro Jahr viermal ausführliches Feedback, das sich zum Teil an solchen Werten orientiert. Ich habe also Unternehmenskultur eher vermittelt, zum Prägen komme ich erst jetzt.

Arbeitest Du jetzt in einem international geprägten Unternehmen?
Das fängt jetzt an. Wir internationalisieren im Moment ganz stark, aber das ist neu. Das bringt natürlich fürs ganze Unternehmen eine erhebliche Lernerfahrung mit sich, wo auch Fehler gemacht werden. Ich merke aber, wie sehr es mir hilft, dass ich vorher in einem sehr internationalen Umfeld gearbeitet habe. Ich erkenne schneller die üblichen Fehler, die man beim Internationalisieren macht.

Du hast durch Deine Stellung im HR-Bereich viel Verantwortung. Auf was achtest Du beim Aussuchen der Bewerber am meisten: Dass das fachliche Profil passt, oder ist das persönliche Profil genau so wichtig? Geht es dabei um ein passen zum Job oder zur Kultur des jeweiligen Jobs?
Ich selbst bin nur in ausgesuchten Fällen bei Vorstellungsgesprächen dabei. Und ich weiß, dass in bestimmten Betriebsteilen beim Besetzen von vielen Stellen nicht so lange gesucht werden kann. Das heißt man geht ein Risiko ein. In der Regel sind die fachlichen Kompetenzen ausschlaggebend und mit etwas Glück passt es auch menschlich. Da, wo man sich beim Besetzen Zeit lassen kann und muss, achtet man natürlich stark auf die Persönlichkeit. Ich suche zum Beispiel gerade eine HR-Kraft für den internationalen Bereich. Da weiß ich, was ich suche und worauf ich in den Gesprächen achte. Neben den fachlichen und fremdsprachlichen Kompetenzen muss die Person auch eine Menge Eigeninitiative mitbringen, muss natürlich auch mal Druck abkönnen, souverän mit den Bereichsleitern umgehen können und so weiter. Da suche ich dann lieber etwas länger und spare dafür hintenraus enorme Kosten, Nerven und Frustration, die durch Fluktuation nun mal auf allen Seiten entstehen.

Du hast in deinem Artikel „Eldorado Germany“ eine praktische Checkliste erstellt, wie man es Bewerberinnen aus dem Ausland einfacher machen kann, sich in Deutschland zu bewerben. Was nimmst Du als stärksten kulturellen Impuls wahr: Die fachliche Prägung der einzelnen, die klassischen Parameter (Herkunft /Geschlecht etc.)?
Ich bin nicht ganz sicher, was du mit kulturellen Impuls meinst, aber ich glaube, dass ich gegenüber den klassischen Parametern inzwischen blind geworden bin. Durch die jahrelange multikulturelle Prägung bei Google fällt heute kaum noch auf, wenn jemand irgendwo anders herkommt. Manchmal erstaunt mich das, wenn meine Frau – sie ist Französin – in Leipzig als “Ausländerin” wahrgenommen wird. Besonders auf Ämtern ist das krass. Dann merke ich, wie ich darüber schon hinweg bin. So ist das auf Arbeit auch. Also bleibt am Ende vor allem die fachliche Prägung und die Fremdsprache. Die Zeiten ändern sich schnell und hoffentlich fragen wir unsere ausländischen Kollegen nicht mehr, wann sie wieder “nach Hause” zurück gehen.

Beobachtet und steuert ihr bei Unister eure Kultur bewusst und unter strategischen Maßgaben? Inwiefern ist dabei die Internationalisierung relevant?
Das ist eine sehr wichtige Frage. Wir haben damit angefangen. Die Firma ist sehr erfolgreich und daher schnell gewachsen. Lange gab es einfach die Kultur der Selbstverständlichkeit. Alles konnte auf dem kurzen Weg erledigt werden, weil jeder jeden kannte. Das geht dann irgend wann nicht mehr und man muss steuern. Wir machen dabei große Fortschritte z.B. in der internen Kommunikation – für mich sehr wichtig – oder indem wir Grundregeln für den Umgang unter Kollegen entwerfen. Die Internationalisierung ist dabei im Moment eher ein Aspekt, den wir berücksichtigen, der aber noch nicht prägt, etwa wenn wir festhalten, dass nicht die Sprache und Herkunft unserer Kollegen zählen, sondern ihre Zusammenarbeit und die Leistung.

Das Interview führte Elisabeth Göhring im Sommer 2012

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