von Elisabeth Göhring mit Illustrationen von Silvie Ringer
Lévi-Strauss betrachtet zwei unterschiedliche Geisteshaltungen:
die des Bastlers und die des Ingenieurs.
Der Bastler hat Freude daran, Probleme, die sich ihm stellen, mit gegebenen Mitteln zu lösen. Der Ingenieur dagegen geht systematisch vor und kann dadurch nachhaltig über die unmittelbar gegebenen Möglichkeiten hinaus Lösungen produzieren.
Die archaische Geisteshaltung des Bastlers und die zeitgenössisch anmutende des Ingenieurs existieren nebeneinander.
Will der Bastler über einen Fluss kommen, sucht er nach langen Stecken und baut ein provisorisches Floß, das zumindest eine Zeit lang funktionieren wird. Der Ingenieur dagegen bekommt den Auftrag für den Brückenbau, erkundet unterschiedlichen Brückenbau-Techniken, passt eine geeignete Technik an die örtlichen Gegebenheiten an und gibt dann seine Pläne an die Bauleitung, die sie umsetzt. Es entsteht eine Brücke, die lange halten wird, für die Gerüste gebaut und Materialien herbei transportiert wurden, die aber irgendwo in der Natur Narben hinterlassen.
Die Ingenieure prägen eine Gesellschaft, die Großes hervor bringt. Hier werden Fakten geschaffen, die Geschichte schreiben. Hier entsteht Hochkultur.
Die Gemeinschaften der Bastler sind dagegen eher durch Mythen und Rituale geprägt.
Obwohl wir unsere moderne Industriegesellschaft natürlich in die Ingenieurskultur einordnen, kennt jeder den Bastler-Typ wahrscheinlich aus seiner Nachbarschaft oder erkennt sich sogar selbst darin: wie stolz man doch ist, wenn man ein Rohr mit einer einfachen Weißblechdose geflickt hat, anstatt dem Handwerker schon wieder Gelegenheit für eine saftige Rechnung zu geben! Auch in unserer durch Ingenieure dominierten Kultur hegen wir (pseudo-)religiöse Mythen und geben uns Ritualen hin.
Ich jedenfalls. Und mein Nachbar auch. – Meine Firma hat ein Logo, in dem eine ganze Menge mehr drin steckt als nur Form und Farbe, und es ist ganz normal, dass Marketing-Abteilungen Mythen über die (emotionale) Wirkung irgendeines Produktes verbreiten, von der man annehmen kann, dass es eben diese ohne die Mythen darüber ganz bestimmt nicht gegeben hätte. Archaische Zauberei instrumentalisiert und dirigiert durch die Ingenieure für die Bastler?
Man kann jedenfalls behaupten, dass die Ingenieursgeisteshaltung der von Produzenten und die Geisteshaltung der Bastler der von Verbrauchern entspricht.
Lèvi-Strauss vergleicht die Ingenieur-Gesellschaften mit Dampfmaschinen. Die der Bastler, die eher auf Erhalt und Gleichgewicht aus sind, werden mit Uhren verglichen, die so lange laufen, bis sie zerschlissen sind oder angehalten werden.
Dampfmaschinen entstehen aus der kommerziellen Verwertung menschlicher Geistesleistungen und produzieren Kultur, um der „Entropie“, die sie durch ihre Arbeit erzeugen, entgegen zu wirken. Laut Lévi-Strauss ist für ihren Betrieb eine hierarchische Ordnung vonnöten: ein Sozialgefälle.
Die Existenz der Bastler-Uhren-Gesellschaften wurde durch die Globalisierung ruiniert.
Ein unberührter Lebensraum ist eben keiner mehr, wenn eine Dampfmaschinen-Trasse darüber gelegt wird – dann ist er nur noch ein Lebensraum. Außerdem gibt es innerhalb jeden Gesellschaftstyps beide Typen der Geisteshaltungen. Die Ingenieur-Typen innerhalb einer Bastler-Gesellschaft werden der Dampfmaschine folgen. Die Bastler-Gesellschaften brauchen aber ihre Ingenieure.
Auch die Ingenieure brauchen ihre Bastler. Sie bauen sie ein, sie benutzen sie. So wie eine Dampfmaschine eben alles instrumentalisiert und verheizt, was nicht anderweitig genutzt werden kann.
Seit Lévi-Strauss über die beiden Gesellschaftstypen schrieb und sprach ist fast ein halbes Jahrhundert vergangen. Jeder Mensch, der in unsere Dampfmaschinen-Gesellschaft mit ihrem Fortschrittszwang der Economy of Skale eingebunden ist, trägt beide Geisteshaltungen in sich und ist sowohl Verbraucher als auch Produzent.
Mittlerweile ist jedem klar, dass es nicht einfach immer so weiter gehen kann. Der Drahtseilakt, trotz Dominanz der alles verzehrenden Dampfmaschinen die Uhr des Lebens weiterlaufen zu lassen, hat begonnen. Technik wird eingesetzt, um Natur zu erhalten. Ein bisschen jedenfalls.
Jeder muss selbst wissen, wo er steht und entscheiden, wo er hin will. Kein Unternehmen darf sich mit Verweis auf mangelnde Regulierungen aus der allgemeinen und kein Mitarbeiter mit Verweis auf mangelhafte Corporate Responsilbility aus der individuellen Verantwortung ziehen.
*** Die Künstlerin und Illustratorin Sylvie Ringer:
“Die Illustration mit den Blättern basiert auf dem ersten Kapitel von ” Das wilde Denken “, ein Abschnitt der beschreibt, wie Amazonasvölker in der Lage sind präzise Unterschiede zwischen Pflanzen zu erkennen, innerhalb einer Art; Unterscheidungen, die wir aufgrund von unserer Entwicklung / Geschichte nicht mehr in der Lage sind zu begreifen. Wir begreifen nur einen oberflächlichen Teil, weil weiteres Wissen in dem Bereich unserem System nicht dient, wir es daher nicht gebraucht und vergessen haben…..
Ich mag die Idee von Levi, das das Wissen und die Denkweise des Bastlers gleichberechtigt sein kann, obwohl es in unserem System abgewertet wird….”
Lèvi-Strauss, „Das wilde Denken“, 1968 (1962)
Lèvi-Strauss, „Primitive und Zivilisierte“, nach Gesprächen aufgezeichnet von Georges Charbonnier, 1972/1965
Lèvi-Strauss, „Traurige Tropen“, 1978 (1955)
Wunderbares kleines Buch: Michael Kauppert, „Claude Lévi-Strauss“, UVK 2008